Schon bald starten die ersten Erhebungen, mit denen wir Datenpraktiken von pädagogischem Personal in Schule auf den Grund gehen wollen und dafür haben wir uns auch einiges vorgenommen: neben Artefaktanalysen kommen auch Cultural Probes und Methoden einer digitalen Ethnographie zum Einsatz. Aber was hat es mit diesen Methoden auf sich? In einer kleinen Beitragsserie rund um die method(olog)ischen Ansätze in AID möchten wir diese Methoden vorstellen. In dieser Woche soll es um digitale Ethnographie gehen.
Was ist digitale Ethnographie?
Digitale Ethnographie oder auch virtual ethnography bzw. Netnography (= Internet und Ethnographie) genannt, versteht sich als eine an das Internet angepasst Form ethnographischer (Feld-)Forschung. Ursprünglich stammt die Methode aus der Marktforschung und wurde seit den 90er-Jahren durch den kanadischen Kulturanthropologen und Marketer Robert V. Koszinets maßgeblich geprägt und weiterentwickelt.
„“Netnography“, or ethnography on the Internet, is a new qualitative research methodology that adapts ethnographic research techniques to study the cultures and communities that are emerging through computer-mediated communications“
(Koszinets, 2002, S.62)
Bei Netnographie handelt es sich um einen qualitativen und meist partizipativen Forschungsansatz, der es ermöglicht, Akteur*innen, deren Interaktion und Handeln in einem für sie natürlichen Online-Setting (teilnehmend) zu beobachten. Dabei können neben klassischen Feldnotizen und Beobachtungsprotokollen – wie sie in der ethnographischen Feldforschung typisch sind – einerseits auch bereits vorhandenes Datenmaterial, wie bspw. Twitterposts, die archiviert werden, in den Blick genommen werden, andererseits aber auch in der Interaktion mit den Teilnehmenden via Chat oder Instant Messaging Daten neu generiert werden. Relevante Informationen bestehen dabei nicht nur in Textform, sondern ebenso in multimedialen Ausdrucksformen wie Bild, Ton und Video sowie Symbolen oder auch Images. Netnographie bietet daher vielfältige Möglichkeiten, Forschungsdaten zu erheben.
Warum nicht einfach Ethnographie?
Die Verbreitung von Covid-19 und die damit einhergehenden Schulschließungen haben zwangsweise zu einer Verschiebung pädagogischer Praktiken aus dem „analogen“ Schulalltag in den digitalen Raum geführt und Schule damit erweitert, da nicht nur Unterricht weitgehend digital gestützt umgesetzt werden musste, auch gestalten sich bspw. die Kooperation und Kommunikation verschiedener schulischer Akteur*innen in der aktuellen Situation digital. Um pädagogische Datenpraktiken in Schule explorieren und untersuchen zu können, erscheint es daher notwendig, auch die entsprechenden Onlinesettings in die Betrachtung mit einzubeziehen. Dies wäre mit einem ethnographischen Zugang im klassischen Sinne (nicht nur durch geschlossene Schulen) nur in einem begrenzten Maße möglich.
Digitale Ethnographie in AID
Das Teilprojekt Kaiserslautern möchte daher Methoden einer virtuellen Ethnographie resp. Netnographie nutzen, um damit bspw. digitale Kommunikation zwischen Lehrpersonen und weiteren Akteur*innen oder auch Online-Lernumgebungen beobachten zu können. Anders als es bei Netnographie und virtual ethnography sonst üblich, steht jedoch nicht eine Online-Community oder das Internet als Kulturraum im Fokus, sondern dient uns dieses im Rahmen von AID als Forschungsfeld – äquivalent zum Lehrerzimmer und dem Klassenraum.
Weiterführende Literatur:
Kozinets, R. V.. (2002). The Field behind the Screen: Using Netnography for Marketing Research in Online Communities. Journal of marketing research, 39(1), 61–72
Kozinets, R. V. (2010). Netnography: doing ethnographic research online (1. Aufl.). Los Angeles, Calif. [u.a.]: Sage.